Das Wetter war schön und nichts sprach dagegen der Deutschen Bahn 1,30 € vorzuenthalten. Also setzte ich meine Gehhilfe
stakkatoartig in Bewegung, um meine Zone 20 zu verlassen und in die Zone 8 einzutauchen. Zwischen den Ruinen in
Ghost-Town standen keine Kinder mit Fähnchen, die mir zuwinkten und mich anfeuerten.
Motivation zog ich aus der uneingeschränkten Bereitschaft mir die Neuansetzung CFC gegen TeBe zu geben und so ging es
über die Marbacher Mühle auch an der Priemsmühle vorbei und steuerbordflussseitig über Geröll und umgestürzte Bäume zur
Schlossmühle, ein Haken links ("Benutzung des Weges auf eigene Gefahr!") und schon sah ich die Zielruine Bahnhof
Leubsdorf, als sich das Geräusch eines herannahenden Zuges durch meine Gehörgänge fraß. Noch zweihundert Meter und der
Zug zog vorbei. Sprinten mit Rucksack war sinnlos. Und mich beschlich aus der Ferne das Gefühl, dass dieses Gefährt
bewusst lange am Haltepunkt stehen blieb und dies obwohl weder jemand zu- noch ausstieg. Wollte man warten? Vielleicht
gar um dann immer ruckweise vorwärts zu schießen, je näher ich an die Tür kam?
Ich protestierte und schlenderte betont gelangweilt weiter. Der Zug auch.
So stand ich dann vor dem Traum meiner Diskojugend. Die Zeit von 1:15:31 Std. für 8,012 km bei einer Überwindung von
nur 125 Höhenmetern hatte nicht gereicht. Timing ist das halbe Leben!
Wie nun weiter?
Der15 Uhr 15 war fort. Fahrplan? Den hatten Halbstarke abgerissen und angekokelt und er gab mir keine brauchbaren
Auskünfte.
Ich grübelte und durchforstete meine Datenbank, wer wohl auch Zugfahrer sei und entschied mich für Blacky in Chemnitz.
Jenen rief ich an und erfuhr, dass 16:15 Uhr der Nächste fährt, Also eine knappe Stunde Zeit. Zeit meine Gedanken und
Ideen zu befummeln. Erstes Opfer wurde der SEGA-Footman (Da habe ich schon mal im Pagetagebuch draufgehauen.).
Hintergrund ist meine chronische Erfolglosigkeit. Manchmal setze ich hundert Bewerbungen ab, um irgendwo als Trainer
engagiert zu werden. So spielt man mitunter eine Woche arbeitslos. Klick. Bewerben. Klick. Der Vorstand von Standard
Lüttich lacht sie aus. Klick. Bewerben. Klick. Ihre Bewerbung bei Los Andes wurde entgegengenommen. Klick...
Wenn man eine negative Vita hat, ist es schwer Fuß zu fassen. Das gilt auch abseits von Managerspielen.
Irgendwann interessierte sich Rozwoj Katowitz für mich. Ich staunte. Erste Liga Polen? Schon das angebotene Gehalt von
250 € wöchentlich hätte mich stutzig werden lassen müssen. Ich handelte auf 275 € hoch und unterzeichnete den Vertrag.
Beim Footman kann man vorher die Mannschaft nicht begutachten und selbst wenn…es nutzt auch wenig, denn es gibt keine
Spielstärkeangabe für die Kicker und die Mannschaft.
Eine Variante ist es, dass Team serienweise Freundschaftsspiele machen zu lassen, sich die Spielerbenotungen und
Formkurven zu notieren und in die Glaskugel der Gehaltsschecks zu blicken, um sich auszumalen, wer denn was taugt und
wer nicht.
Ich setzte auf Freundschaftsspiele. Und hatte 36 Spieler ohne gültige Verträge, kein Geld für Transfers und noch andere
Baustellen.
Gleich die ersten Freundschaftsspiele gingen klar in die Hose. Training ändern, Trainingspläne schreiben, Spieler
zuordnen, den Kader der Reserve überprüfen, Freundschaftsspiele für die Reserve beantragen und zwischendurch warten,
bis die gigantischen Datenmengen im Dschungel des Footmans sortiert sind. 232000 Spieler…so dauert es und dauert es
und dies obwohl der Footman nur einen aufgebohrten Excellook hat, also nichts mit 3-D- Spieldarstellung!
Was folgte, war der immer wieder von mir bemühte Überkreuzvergleich Erste gegen Reserve. Das macht Spaß und geht ja im
konkurrierenden Leader EA-Manager nicht. Die Erste verlor. Also den auffälligen Spielern der Zwoten auch Verträge
anbieten und sie ins Stahlbad Erste Liga Polen einbeziehen.
Es half wieder nichts. Ich war wie einst der Co von Ehrmanntraut, den jener wegen schlechter Vibrations damals bei
Mannschaftsbesprechungen unmittelbar vor Bundesligaspielen befahl vor der Kabine zu warten- also ein schlechter
Fußballlehrer, Motivator, Schwätzer...
Die Elf fuhr Niederlage um Niederlage ein, zierte rasch das Tabellenende, die polnischen Medien war mir gegenüber
anmaßend, ich stellte mich vor Spieler die "als über ihren Zenit" oder "als zu jung" dargestellt wurden und verlor
weiter.
Einmal gewann ich gegen Lublin. Das nächste Auswärtsspiel war bei Gornik Zabrze und ich hatte null Chance, also
spielte mit einem Großteil Ersatzspieler, um die Moral der wichtigen Kicker hochzuhalten.
Lublin blieb ein Einzelfall und ich rettete mich in die Winterpause. Schnell Freundschaftsspielanfragen absenden.
Bevorzugt an Mannschaften, wo ich hoffte was reißen zu können, um den Haufen aufzurichten. Da Teams im Ligabetrieb
meist absagen und Amateurteams frei herumschweben, kam es zu diversen Vergleichen mit unterklassigen deutschen
Mannschaften. Mein Erstligist aus Polen verlor nicht nur gegen den 1.SC Feucht, sondern steckte zu meinem Entsetzen
auch noch Niederlagen gegen den Torgelower SV Greif, den TSV Völpke und Union Solingen ein. Also noch mal gegen die
Zwote antreten, da ja keine Spielerkäufe möglich sind (Verein pleite). Wieder verloren. Dann die Zwote mühsam mit
Mannschaften zusammenbringen, gegen welche die Erste auch schon gefreundschaftelt hat, um einen Quervergleich zu
provozieren, schwache Spieler in die Zweite abschieben zu können und umgekehrt. Nebenher bot ich 130 vertragslosen
Spielern aus aller Welt ein Engagement an. Einer sagte dann "Yes". Warum nur einer? Weil der Club den letzten Platz
belegt und kein Positivimage besitzt.
Die Elf spielte wahrscheinlich Rumpelfußball, aber beurteilen kann man es nicht, denn es huschen nur Punkte übers
satte Grün. Trotz laufend veränderter Trainingsgestaltung blieben Erfolgserlebnisse aus.
Hier nun endlich der Offenbarungseid von vierzehn Tagen Management im polnischen Ligabetrieb.
Rozwoj Katowitz (1.Liga Polen)
Die Fans aus Zabrze und Danzig hatten den Zug verpasst, nur deshalb habe ich so einen schlechten Zuschauerschnitt.
Sagten zumindest ihre Fanbeauftragten. War ein Kalauer, okay, aber ich muss ja auf den Leubsdorfer Bahnhofsplatz
zurück, denn es wurde 16:15 Uhr, der Triebwagen kam in Sicht, die Einsteighilfe kam heraus, zwei schulpflichtige
Kinder auch und sie hakten mich unter und halfen mir in den Fahrgastraum.
Während des längeren Aufenthaltes in Flöha rauchten sie mit der Fahrscheinkontrolleurin. Egal, denn dann fuhr ich doch noch
in Chemnitz ein. Echte Wüstenei ringsum den Bahnhof.
Desertstyle.
Man reißt ab, stapelt, macht Haufen, stellt Bauzäune und Sichtschutz, erstellt Provisorien (Bazillenröhre)- es geht was. Es
boomt beinahe. Aber letzten Endes ist es nur ein Rückbau und irgendwann wird man mal sagen:
"Guck hier, mein Kind, dies war mal Chemnitz. Man rief es Stadt der Moderne. Dort hinten zwischen aufgeschütteten Hügeln steht
als Mahnmal eine Ruine aus Stahlbeton. Frühere Generationen zwitscherten es Galeria Kaufhof."
Bevor ich jetzt zum Moderator von FutureTrend werde und noch paar salbungsvolle Sachen aus Stefano Benni's "Terra!" zum Besten
geben (Die Sache mit der Schickeria-Szene im Jahr 2153, also nach dem sechsten Weltkrieg, käme ganz gut. Die Prominenz in
dieser Zeit leistet sich fürs Nachtleben strassbesetzte Gasmasken. Immerhin lebt der Rest der Weltbevölkerung tief unter der
Erde, weil die Sonne durch atomare Explosionswolken keine Wärme mehr verbreiten kann und demzufolge eine weitere
Eiszeit entstanden ist. Legale Bettler müssen in den unterirdischen Gängen einen deutlich sichtbaren Gesundheitspass
an der Jacke tragen.) werde, upps, nun isses doch passiert...
Aber der letzte Satz war so ein Versuch einer Überleitung, denn auch ich musste zweimal meinen ARGE-Pass auf dem
Rollfeld zur "Kurva Nord" auspacken. Ich bin zu gut gekleidet gewesen. Mein Vollbart rettete mich nicht vor
kontrollierenden Frauenhänden.
Nun denn, FARE-Aktion gegen Homophobie und Rassismus. Der Stadionsprecher tat seine Pflicht, der exakt 15köpfige
TeBe-Anhang bekannte sich dazu.
Ansonsten? Es war sehr, sehr kalt im Stadion. Da half mir auch das gute Spiel der Himmelblauen nicht weiter. Immerhin
trafen sie dreimal ins Netz (Benduhn, Reinhardt, Löwe). Energisch wurde nach vorn gespielt, das Publikum gab sich
Mühe, selbst die TeBe-Fans ließen sich nicht unterkriegen und erhoben ihre Stimmen. Kann man aber auch erwarten,
wurden sie doch von zwei Bier-Tee-Glühwein-Wurstverkäuferinnen in der Bude umsorgt. Ich hoffe, sie haben soviel
gegessen/getrunken/Trinkgeld spendiert, dass sich der Aufwand fürs Catering auch gelohnt hat.
Ihr persönlicher Aufwand war weniger sinnvoll, denn ihre Mannschaft hatte kaum irgendeine Chance das Match halbwegs
offen zu gestalten. Wahrscheinlich beteten sie, dass der Club in der zweiten Halbzeit mindestens einen Gang
zurückschaltet. Der Borussenkepper hielt das Ergebnis im Rahmen.
Den Rest des Abends hockte ich in der Desertvillagetrainstation herum, bis ich mich in den Zug nach Olbernhau-Grünthal verziehen
konnte, wo der Führer auch gleich extra für mich die Heizungsmotoren anwarf.
Das dann meine Einsamkeit noch durch Herrn F. aus Flö mit stylischer Kutte unterbrochen wurde…umso besser. Das unser
Beisammensein zusätzlich unterbrochen wurde…noch besser. Direkt neben uns landete am Bahnsteig der Zug mit dem
Thomanerchor, welcher von einem Gastspielauftritt aus Aue kam (man trennte sich dort im Nachholer von der Zwoten
Wismut mit 1:1). Begleitet auch von motivierten Chorleitern, welche auch Videotechnik einsetzten, um das Ausströmen
der Meute aus den Waggons zu dokumentieren. Meute? 30 Stück Menschen.
Im Prinzip hätten das alles meine Söhne sein können (ausgenommen die Chorleiter), wenn ich je in Leipzig gewohnt hätte und wenn
es dort Frauen geben würde, die einer Druckbetankung von mir gewachsen wären.
Gegen 23 Uhr war ich daheim und rief meiner Frau zu:
"Mach' mir ein Bier auf und hau zwei Eier in die Pfanne! Dann wird die Rübe wieder hart."
Dem war natürlich nicht so, ist nur das Anhängsel eines "Becks Pistols"-Klassikers.
Ich wärmte alten Kaffee auf, erhitzte zwei Sonderangebotswürste aus dem Flöhaer Netto und hörte im TV van Gaal
analytisch räuspern, warum der FC Bayern verloren hat. Aus Sportsicht konnte ich heute wahrlich nicht klagen.
Ergo:...entweder man schwitzt vor dem Footman, oder strapaziert seine Thermorezeptoren im Stadion...