Nach 45 Minuten Fußball gesellte ich mich zu Chemikern unter das schützende Dach der Eiche hinter der Gegentribüne im AKS
(für Daheimgebliebene: AKS ist die Insiderabkürzung für Alfred- Kunze Sportpark).
Es hatte nicht zu regnen begonnen, es hagelte aber betroffene Leutzscher Gesichter unterm 30 Grad warmen Himmelszelt.
Euphorisch in Internetforen mit Sätzen wie: "Chemie steigt weiter auf!" in die Saison gestartet und mit dem umjubelten
Vorbereitungsspiel- 0:1 gegen Bayern (allerdings nur in 45 Minuten) im Rücken, sollte der Chemnitzer FC keine Hürde sein.
Es kam wieder mal anders.
Zum Beispiel nur 5000 Besucher und davon noch knapp 1000 aus Chemnitz und keine hoffnungsvoll erwarteten 10000.
Was soll dann erst werden, wenn die Amas der Bulis kommen und es Bindfäden im leeren Awaysektor regnet (und nebenbei das
Punktekonto auch schlecht gefüllt ist)?
Bei der Tour de France muss man unter tropischer Hitze leidend pro Stunde zwei Liter Flüssigkeit und drei Powerriegel zu sich
nehmen. In Anlehnung an diese Faustformel wurden aber bei vielen Fans die falschen Getränke serviert und auf dem Weg zum
Stadion saß so der eine oder andere am Straßenrand vor seiner erbrochenen Kalorienbombe. Ein stark der tätowierter Arier
(mit selben Schriftzug auf dem Arm), der eigentlich genügend Training jeden Tag vor dem Netto in Chemnitz- Adelsberg genießt,
hatte den größten Gewichtsverlust zu verdauen.
Wie schrieb doch das DSWAIN mal: "Deutschland geht es schlecht".
Der Rest mit "Stahlgewitter" oder "Braune Musik Fraktion" T- Shirt hatte es in den leicht schattigen Gästeblock geschafft.
Und dort machte sich gute Stimmung breit.
Nach einer knappen halben Stunde zwischen Abtasten und Antesten des Gegners zeigte Chemie erstmals Schwächen und ich schwöre:
"Bei einem 0:0 zur Pause hätte sich der Club mit diesem Ergebnis auch zum Schluss begnügt."
Aber solche Einladungen musste man annehmen und Meissner erzielte als Endpunkt einer schönen Kombination frei vor dem Tor das 0:1,
was die schweißnasse Frau neben mir zu ersten Erkenntnissen hinriss:
"Die spielen ja noch wie in der Oberliga, so ein Scheiß Sommerfußball!"
Ich stand bei Chemie und die Frau wurde mehrfach vom anderen Geschlecht gerügt.
Eine Minute vor der Pause versuchten gleich mehrere Chemiker nach einem Chemnitzer Freistoss den Ball erfolglos aus der
Gefahrenzone zu tätscheln und so blieb es Wächtler von der Strafraumgrenze vorbehalten den zweiten Zaunsturm im Gästeblock
auszulösen.
Dann stellte ich mich unter den anfangs erwähnten Baum.
Die zweite Halbzeit wollte ich ursprünglich den Diablos- Block entern, aber komplizierte Stadionordnungen machten mir einen
Strich durch die Rechnung:
"Wenn du hier jetzt rausgehst und dort rein willst, musst du dort noch mal eine Karte kaufen. Wenn du hier wieder reinwillst,
nach dem du rausgegangen bist, musst du hier auch eine Karte kaufen."
Da meine Kamera auch mittlerweile hitzefrei streikte, entschloss ich mich auf die Sitzplätze zu klettern, für die man
komischerweise weder hier noch da und gleich gar nicht dort zusätzlich bezahlen muss. Aber man hätte auf den Plastikschalen auch
Spiegeleier braten können (oder betrunkene Leutzscher).
Überhaupt saßen nur die, die nicht mehr stehen konnten und dies bis "Wuschi" Rohde einen Schnitzer machte.
Nach zwanzig Minuten Pöbeleien ("Du Stasidrecksau", "Ihr Kommunistenschweine", "Ihr Karl- Marx- Städter seid doch alle in der
Partei") ließ er sich auf eine Debatte ein, weil er nach mehreren Verletzungspausen (Biermann mit Risswunde nach Tritt an den
Kopf, Zivic nach Zusammenprall) eine Diskussion über die Spielhärte mit den Tribünenbesuchern anheizen wollte.
Nun bewegte sich einiges, auch auf allen vieren, in die erste Reihe an den Zaun und was sich dort die Chemnitzer Bank so anhören
musste...für 2,42 € könnt' ihr euch einen Dialer runterladen unter dem ich alles FSK- frei auf die Page gestellt habe.
Zurück zum Spiel, was eigentlich keins mehr war. Chemie hatte de facto bei den Temperaturen keine Chance mehr und die von meinem
Nachbarn prognostizierte erste Viertelstunde ("da haun wir dreie nei und dann schaukeln wir das Ding über die Zeit") blieb aus.
Zwei harmlose Kopfbälle ließ die von Libero Karl lautstark dirigierte Abwehr gnädigerweise zu, mehr hatte der Aufsteiger gegen
den Abstiegskandidaten nicht zu bieten.
Da ich mich in Nr.9 schon leicht verhaspelt hatte (DSC niemals Abstiegskandidat), wage ich keine Prognosen mehr...höchstens das
Chemie ab jetzt jedes Spiel gewinnt und mit 10 Punkten Vorsprung in die zweite Liga aufsteigt.