„Scheiss Kälte“, stöhnte ich zwischen osteuropäisch plappernden Menschen und blickte nach links. Selbst das Pärchen mit
„Zschopauer FC“- Schal im Auto (wahrscheinlich Mutter, so um die 50, und Sohn, so um die 25- mit Sweater der legendären
„EXODUS“) war verschwunden.
Noch ein Blick zum Ausgang, über dem die dreckigen KLH- „Zaunflaggen“ hängen, der mir sagt:‚Alles frei!’
Und dann der letzte prüfende Blick zum Statistikwürfel: 18:19, also noch eine Minute und 41 Sekunden zu spielen- ohne wenn und
aber und „Tafelhochhalten“ mit empfohlener Zugabe.
Ein KLH- Stürmer bekommt den steil gespielten Pass, stürmt auf das gegnerische Tor zu, er wird doch nicht das 1:1 machen?
Verlängerung, weiter frieren, weiter hoffen, dass das Bier nicht wieder raus will, weiter...
Da kommt ein Schläger von hinten, fädelt ein, der Stürmer stürzt, rutscht über’s Eis, der Linesman reißt die Arme nach oben,
kreuzt die Unterarme und signalisiert: Penalty!
Selbiges hatte er schon 12 Sekunden vor der ersten Drittelpause getan, aber Jeslinek war am glänzenden Gästekeeper gescheitert,
dennoch tobte nun die Halle wieder, hoffen, bangen....
Kolacek läuft an, wieder fährt der Gästekeeper weit aus seinem Tor.
Kolacek zieht ab -PING!- der Puck klatscht an die Latte, kollektives Aufstöhnen.
Leute stoßen mich zur Seite, drängen zum Ausgang. Ich blicke wieder auf den Würfel. 18:42, noch eine Minute und 18 Sekunden.
Das Trainergespann Kyhos und Petrovka nimmt eine Auszeit, der beste KLH- Spieler, mein Player of the game, Torhüter Kamil
Jarina wird an die Bande gewunken.
Jetzt schon den Goalie herausnehmen? Fast.
Das Spiel läuft wieder an, der Bulli vor dem gegnerischen Tor wird erzwungen. Jarina schlittert vom Eis. Sechs gegen fünf.
Ich schaue zur Uhr. 47 Sekunden. Der Capo der 30 (lauten) Gästefans bittet zur Stimmung und der angesoffene Pöbel
(vom England- Schal- Presenter, über den schicken Fussballrowdy bis zum Fettscheitel (schulterlang) kommt der Aufforderung nach.
Oberkörper frei! Schlachtrufe hallen durch das Rund.
Der Puck geht an der Bande verloren. Ein Slovan- Spieler nimmt Fahrt auf, zieht über rechts zum verwaisten Tor, deutet einen
Schuss an, der KLH Verteidiger ist fast düpiert, hakt aber mit dem Stock nach, dann der Schuss- flach am leeren Gehäuse vorbei.
Noch zwanzig Sekunden.
Letztes Aufbäumen. Der Puck wird aber nicht in das gegnerische Drittel und an die Bande gedroschen, sondern kurz mit Doppelpass
vor’s gegnerische Tor, mit den vierfach geprüften Pfosten und der Vernagelung bei zwei Penaltys
(Wer hat Live schon mal ein Spiel mit zwei Penaltys aufgrund von Fouls gesehen?!)
gespielt, Gewühle vor dem Tor des exzellenten Gästekeepers und dann ist das Teil drin!
Ich glaube Radek Sip war es, der älteste Spieler der Heimmannschaft, ein Schrank von einem Mann, aber vorher das ganze Spiel
über nicht gerade gut....
(genaueres in Gellert Szenario Nr.10)
Die Leute aus der Gästestadt springen vor ihre „Hooligans 777“- Fahne, aus Stinkefingern wird eine Schubserei, der
Ordnungsdienst mahnt zur Besinnung (immerhin steht noch ein angeputzter Weihnachtsbaum neben dem Gästeblock) und die „Gelben“
und „Nackten“ leisten Folge.
Trotzreaktion: Support- der aber in der Schlusssirene und in den Gesängen des endlich vernehmbaren Heimfanblockes untergeht.
Nach kurzer Pause geht es in’s Sudden Death. Wer trifft- gewinnt.
Der technisch bessere Heimclub gegen die kämpferischen Slovan- Cracks, nun mit offenem Visier gegeneinander und gegen schwache
Referees.
Noch ein Pfostenschuss auf der Habenseite, noch eine Glanzparade von Jarina, der immer wieder mit heftigem Stockschlag auf’s
Eis zur Ordnung im eigenen Drittel mahnt.
Wieder brechen die letzten 60 Sekunden an, wieder Schönspielerei im Usti- Drittel, wieder landet der Puck Nähe des linken
Pfostens, wieder steht dort ein Stürmer frei und zieht ab, der Torwart taucht ab, reißt verzweifelt den Knüppel und das linke
Bein hoch- vergebens.
2:1 nach Sudden Death.
Enttäuscht winken die Gästespieler ihren Fans, während die KLH- Spieler vor dem Heimfanblock ihr Ritual abziehen
(Halbkreisgebete, Huldigung des Keepers und dann synchrones Eisklopfen). Warum ich das so geschrieben habe? Man sehe
in GS Nr.7 auf Seite 42. Dann weiß man, was der einsame deutsche Eishockeyfan auf der Gegengerade heute richtig gemacht hat....
Fazit: Ein Derby muss nicht schön sein. Ein Derby auf dem Eis kann auch nach 46 Minuten noch 0:0 stehen. Ein Derby braucht
Pfosten, wilde Gästefans mit Capo/Selbstdarsteller, Atemmaske und Duschhaube.
(Geht das Ultrageklapse jetzt auch schon beim Eishockey im Osten los? Kann man nicht normal Stimmung machen?)
Ein Derby braucht verzweifelte Heimfans, die es schafften nach und während des zweiten Drittels die eigene Mannschaft wegen
ihrer unsicheren Spielweise auszupfeifen, um dann um so enthusiastischer die krasse Wende zu bejubeln.
Und ungefähr 50 vierzehnjährige Mädchen, die ständig auf das 50 Jahre alte Klo mussten (in Fünfergruppen) in dem die
Frostgrenze locker unterschritten wurde. Und vielleicht 30 Jungs desselben Alters, die wahlweise rauchten oder mit
Butterflymessern (kurzzeitig auch vor meiner Nase) spielten.
Und den Stadtnazi aus der Plattenbaustadt, der mit versiffter Bomberjacke, Tarnhosen und Docs den Leuten auf die Nerven ging
(aber glücklicherweise nicht in die Halle durfte) und alle zehn Minuten eine Bierflasche auf dem Asphalt zersplittern ließ.