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...allen Pagebesuchern, deren Angehörigen, zukünftigen Angehörigen und verblichenen Angehörigen angenehme Weihnachten und keinen
Böllerhörsturz zum Jahreswechsel...
Gorgonski, Betreiber dieser seltsamen Page, war auch die letzten Monate nicht untätig und hat für die nächste
Druckveröffentlichung die Feder bemüht.
Bückware#5 wird sich das Heft rufen, der blumige Zusatz fehlt noch (wie vordem "Dachbodengeschichten").
Hier dazu zwei Texttrailer:
Als ich neulich gerade mal wieder eine fremde Wohnung aufräumte, also eine Wohnung ohne dreckigen Teppich im Flur, da kehre
ich ja immer gleich um, da kenne ich keine Freunde, machte ich eine seltsame Entdeckung. Erst bügelte und staubsaugte ich
und dann wollte ich die ganzen Teddys und Porzellanpuppen auf der wuchtigen Couch richtig ausrichten, da sah ich zwischen den
lebensgroßen Spezies dieser Gattungen ein Etwas mit Blasebalgschnorchel im Mund.
Blind, stumm, taub.
Klarer Fall von Atemkontrolle.
Ich betätigte zweimal den Balg und wienerte den Gummianzug, während ich dann doch ein zufriedenes Grunzen vernahm.
Insgesamt betrachtet sollten wir uns wieder mehr den natürlichen Sinnesfreuden hingeben, bevor es beim Sofatragen durch
gummianzugbekleidete Atemkontrollierte zu Unglücken ungeahnten Ausmaßes kommen kann.
(aus "Gummianzuggekleidete Atemkontrollierte tragen keine Schlüsselbänder")
Sicher würde die Giraffe eine eigene Zehn-Mann-Couch belegen und mit mir abends Tierdokumentationen aus afrikanischen
Reservaten angucken, um vermittelt zu bekommen, wie gut es ihr bei mir geht.
Sicher würde ich mit der Giraffe Gassi gehen, um den Mitmenschen zu zeigen, wie gut sie es haben, dass sie in ihrem
Haushalt keine Giraffe beherbergen müssen.
(aus "Wie ich mal einer Giraffe Unterschlupf gewährte")
Der Riesenradbolzenschraubenbeauftragte an den Wackelpuddingvertreter
…Ich muss Dir gestehen, dass ich nicht mehr den Eifer der früheren Tage an den Tag lege.
Mal sind mir die Schrauben zu rostig, mal die Bolzen zu ölig und hin und wieder befällt mich ungestüm eine
Gedankeninkontinenz, die es mir schwer macht, meiner Arbeit in gewohntem Eifer nachzugehen.
Schuld daran ist die Frau von nebenan.
Schuld daran ist auch dicke Frau mit der geflickten Schürze vom Zuckerwattestand, die sich seit Neustem gebärdet wie eine
Migränehyäne, wenn ich ihr nur zu nahe komme.
Du, der Du reist, in einem Elfenbeinturm mit einer Lok vorn dran, deren bulläugige Lichter nachts die Dunkelheit zerreißen
und sich flirrend auf den Geleisen widerspiegeln, Du der Du Dich in den Waggonbänken duckst und den Kopf hinter den
Abteilfenstervorhängen verbirgst, Du der Du Dich tribunalisierst und als Schminkspiegel und Regal im Ankleidezimmer
diverser Holden dienst, scheinst mir der rechte Adressat für mein Leiden zu sein.
Neulich, also, kontrollierte ich in meinem Zweitjob, angemeldet und versteuert, versteht sich, in der Geisterbahn die
Schrauben der Schienen. Und plötzlich dünkte es mich, als ob eine sanfte Stimme zu mir spräche, die mich über Gebühr lobte.
Lobte für meine überwachende Kontrolle der Gefahrlosigkeiten am Riesenrad, an den Gondeln, an den herumhängenden und grinsenden
Schreckgespenstern und Totenköpfen, an den Herumstehenden und sich plötzlich nach vorn schießenden Oberkörpern der Monster, an
den Wagen, die durch die Geisterbahn brettern und an den Türscharnieren der Geisterbahntüren, die sich in letzter Sekunde
öffnen und schließen und an, was weiß ich…nicht alles…
Diese sanfte, dünne, schlanke, ja beinahe Fistelstimme, strich mir durchs Gemüt und fortan war ich täglich kontrollieren, was
man nicht täglich kontrollieren hätte müssen. Und das Lob floss auf mich herab, während ich mit einem Lämpchen durch die
Geisterbahnflure eilte und so geschmeichelt, zog es mich erst im Morgengrauen zurück zum kalten Gerippe des Riesenrades unter
dessen Bodenplatte mein schmutziger Schlafsack wartete, in den ich mich verkroch, bis ich dann aus meiner Position nach der
Öffnung des Parks hundertfaches Schuhwerk trippeln und hasten und stehen sah.
Und Tage später, berauscht von Worten, spürte ich nächtens eine Hand an meiner Schulter in der Geisterbahn und während wohl
diese und jener zusammengezuckt wäre, erfasste es mich durch und durch und es strömte die ganze Liebe in mich, die sich mir
sonst inmitten der kreischenden und tobenden Kinder so verschließt, die mich hin und wieder dazu zwingt, in ihrer gefühlten
Ablehnung, dass ich die Schrauben…ach, ich erzähl's lieber nicht…
Jedenfalls, naja, so, die Stimme wisperte in mein Ohr:
"Möchtest du deinen Schlafsack nicht hier liegen haben? Nah bei mir?"
Ich sage Dir was: ich wagte kaum zu atmen und sprach wohl: "Jaaa.".
Mit zittriger Stimme.
Und die Nacht darauf lag ich dann in der Geisterbahn, in diesem sonst furchtbaren Anti-Ambiente.
Nicht allein in meinem Sack.
Ich hielt ganz still, als sich ein stocksteifer Arm um mich legte und eine kalte Nase, vermutlich, in meinen Nacken presste.
Und die kommenden Nächte stieg ich immer schon zur wartenden Nase, zum Arm, zum steifen Rumpf in den Sack und lag wach bis es
tagte und am Tage streifte ich pfeifend und quietschfidel um die Buden und in meinen Taschen klapperten die Schraubenschlüssel
und sogar die Kinder grüßten mich und ich grüßte noch mehr sogar zurück.
Und so verging die Zeit bis zu einer Nacht, wo mein Schlafsack wie eine leblose Hülle herumlag, keine Beule, keine Seele und
ich legte mich hinein und wartete und so weiter ging das die Nächte und ich vergoss so manche Träne und eines morgens verschlief
ich die Öffnung der Geisterbahn, meine vorzüglich gewarteten Türen sprangen auf und ein Wagen überrollte meine Beine, ehe
ich mich versah.
Und dann bekam ich noch Wundbrand und unter der Plattform liegend, sah ich nun den ganzen Tag nur noch Schuhwerk und wurde
bitter traurig, mein lieber Freund.
Mittlerweile bin ich zumindest wieder auf meinen Füßen unterwegs.
Aber die Seele hat Schaden genommen.
Nun frage ich Dich, ja, nur Dich, wie soll ich liebeskummerkrank und liebeleiverlustig meinem gewöhnlichen Tagwerk nachgehen?
Klara an Nathanael
…Ach, mein herzgeliebter Nathanael, glaubst Du denn nicht, dass auch in heitern - unbefangenen - sorglosen Gemütern die
Ahnung wohnen könne von einer dunklen Macht, die feindlich uns in unserm eignen Selbst zu verderben strebt? Aber verzeih
es mir, wenn ich einfältig Mädchen mich unterfange, auf irgendeine Weise anzudeuten, was ich eigentlich von solchem Kampfe
im Innern glaube. Ich finde wohl gar am Ende nicht die rechten Worte, und Du lachst mich aus, nicht, weil ich was Dummes
meine, sondern weil ich mich ungeschickt anstelle, es zu sagen.
Gibt es eine dunkle Macht, die so recht feindlich und verräterisch einen Faden in unser Inneres legt, woran sie uns dann
festpackt und fortzieht auf einem gefahrvollen verderblichen Wege, den wir sonst nicht betreten haben würden - gibt es eine
solche Macht, so muß sie in uns sich wie wir selbst gestalten, ja unser Selbst werden; denn nur so glauben wir an sie und
räumen ihr den Platz ein, dessen sie bedarf, um jenes geheime Werk zu vollbringen. Haben wir festen, durch das heitre Leben
gestärkten Sinn genug, um fremdes feindliches Einwirken als solches stets zu erkennen und den Weg, in den uns Neigung und
Beruf geschoben, ruhigen Schrittes zu verfolgen, so geht wohl jene unheimliche Macht unter in dem vergeblichen Ringen nach
der Gestaltung, die unser eignes Spiegelbild sein sollte. "Es ist auch gewiß", fügt Lothar hinzu, "dass die dunkle physische
Macht, haben wir uns durch uns selbst ihr hingegeben, oft fremde Gestalten, die die Außenwelt uns in den Weg wirft, in unser
Inneres hineinzieht, so dass wir selbst nur den Geist entzünden, der, wie wir in wunderlicher Täuschung glauben, aus jener
Gestalt spricht. Es ist das Phantom unseres eigenen Ichs, dessen innige Verwandtschaft und dessen tiefe Einwirkung auf unser
Gemüt uns in die Hölle wirft oder in den Himmel verzückt."…
Erzählerperspektive
Seltsamer und wunderlicher kann nichts erfunden werden, als dasjenige ist, was sich mit meinem armen Freunde, dem jungen
Studenten Nathanael, zugetragen, und was ich dir, günstiger Leser, zu erzählen unternommen. Hast du, Geneigtester, wohl
jemals etwas erlebt, das deine Brust, Sinn und Gedanken ganz und gar erfüllte, alles andere daraus verdrängend? Es gärte
und kochte in dir, zur siedenden Glut entzündet, sprang das Blut durch die Adern und färbte höher deine Wangen. Dein Blick
war so seltsam, als wolle er Gestalten, keinem andern Auge sichtbar, im leeren Raum erfassen, und die Rede zerfloß in dunkle
Seufzer. Da fragten sich die Freunde: "Wie ist Ihnen, Verehrter? - Was haben Sie, Teurer?" Und nun wolltest du das innere
Gebilde mit allen glühenden Farben und Schatten und Lichtern aussprechen und mühtest dich ab, Worte zu finden, um nur
anzufangen. Aber es war dir, als müsstest du nun gleich im ersten Wort alles Wunderbare, Herrliche, Entsetzliche, Lustige,
Grauenhafte, das sich zugetragen, recht zusammengreifen, so dass es wie ein elektrischer Schlag alle treffe. Doch jedes Wort,
alles, was Rede vermag, schien dir farblos und frostig und tot. Du suchst und suchst und stotterst und stammelst, und die
nüchternen Fragen der Freunde schlagen wie eisige Windeshauche hinein in deine innere Glut, bis sie verlöschen will…
…Eiskalt war Olimpias Hand, er fühlte sich durchbebt von grausigem Todesfrost, er starrte Olimpia ins Auge, das strahlte ihm
voll Liebe und Sehnsucht entgegen, und in dem Augenblick war es auch, als fingen an in der kalten Hand Pulse zu schlagen und
des Lebensblutes Ströme zu glühen. Und auch in Nathanaels Innerm glühte höher auf die Liebeslust, er umschlang die schöne
Olimpia und durchflog mit ihr die Reihen. - Er glaubte sonst recht taktmäßig getanzt zu haben, aber an der ganz eignen
rhythmischen Festigkeit, womit Olimpia tanzte und die ihn oft ordentlich aus der Haltung brachte, merkte er bald, wie sehr
ihm Takt gemangelt. Er wollte jedoch mit keinem andern Frauenzimmer mehr tanzen und hätte jeden, der sich Olimpia näherte, um
sie aufzufordern, nur gleich ermorden können. Doch nur zweimal geschah dies, zu seinem Erstaunen blieb darauf Olimpia bei
jedem Tanze sitzen, und er ermangelte, immer wieder sie aufzuziehen…
…"Tu mir den Gefallen, Bruder", sprach eines Tages Siegmund, "tu mir den Gefallen und sage, wie es dir gescheitem Kerl
möglich war, dich in das Wachsgesicht, in die Holzpuppe da drüben zu vergaffen?" Nathanael wollte zornig auffahren, doch
schnell besann er sich und erwiderte: "Sag du mir, Siegmund, wie deinem sonst alles Schöne klar auffassenden Blick, deinem
regen Sinn Olimpias himmlischer Liebreiz entgehen konnte? Doch ebendeshalb habe ich, Dank sei es dem Geschick, dich nicht
zum Nebenbuhler; denn sonst müsste einer von uns blutend fallen."…
…Aus dem tiefsten Grunde des Schreibpults holte Nathanael alles hervor, was er jemals geschrieben. Gedichte, Phantasien,
Visionen, Romane, Erzählungen, das wurde täglich vermehrt mit allerlei ins Blaue fliegende Sonetten, Stanzen, Kanzonen, und
das alles las er der Olimpia stundenlang hintereinander vor, ohne zu ermüden. Aber auch noch nie hatte er eine solche
herrliche Zuhörerin gehabt. Sie stickte und strickte nicht, sie sah nicht durchs Fenster, sie fütterte keinen Vogel, sie
spielte mit keinem Schoßhündchen, mit keiner Lieblingskatze, sie drehte keine Papierschnitzchen oder sonst etwas in der
Hand, sie durfte kein Gähnen durch einen leisen erzwungenen Husten bezwingen; kurz - stundenlang sah sie mit starrem Blick
unverwandt dem Geliebten ins Auge, ohne sich zu rücken und zu bewegen, und immer glühender, immer lebendiger wurde dieser Blick…
…Er bebte vor innerm Entzücken, wenn er bedachte, welch wunderbarer Zusammenklang sich in seinem und Olimpias Gemüt täglich
mehr offenbarte; denn es schien ihm, als habe Olimpia über seine Werke, über seine Dichtergabe überhaupt recht tief aus
seinem Innern selbst herausgetönt…
…Nach mehreren Jahren will man in einer entfernten Gegend Klara gesehen haben, wie sie mit einem freundlichen Mann Hand in
Hand vor der Türe eines schönen Landhauses saß und vor ihr zwei muntere Knaben spielten. Es wäre daraus zu schließen, dass
Klara das ruhige häusliche Glück noch fand, das ihrem heitern lebenslustigen Sinn zusagte und das ihr der im Innern
zerrissene Nathanael niemals hätte gewähren können.
Der Wackelpuddingvertreter an den Riesenradbolzenschraubenbeauftragten
...Mit tiefem Mitgefühl las ich Deine bewegenden Zeilen, Du, mein ehemaliger (nun?) Zeremonienmeister des Grauens. Es ist für
mich durchaus (nun?) nachvollziehbar, dass es für Dich ein schwerer Gang sein wird. Du, der Du sonst mit einer unverhohlenen
Abscheu gegen alles Lebende durchs Leben schrittest, Du, der Du das Gewäsch der Liebenden, Hassenden, Streitenden nicht
ertrugst, nun da es Dich selbst in diesen Sog riss, spüre ich wie dem einstigen Schurken eine Kerze in die Herzkammer gestellt
wurde, deren Licht einen flackernden Schein auf die Gefilde wirft, die sich Dir nun in voller Gänze offenbaren und die Dir
einst verschlossen.
Wie kann ich so vermessen sein Dir ratschlagend zur Seite zu stehen, mir, dem sich selbiges Schicksal kaltschultrig zuwendet?
Neulich fuhr ich, wie Du mir ja gern anheim stellst, wieder mal mit dem Zug und hatte mein ganzes Sortiment an Warenproben
dabei. Auf der Nachbarbank im Abteil reiste mit mir eine Dame, die mich geflissentlich ignorierte und mich dabei an mein
Herzensmädchen erinnerte, in Formgebung ihrer Silhouette, in ihrer Anmut, in ihrer Art die Beine übereinander zu
schlagen, kurzum in allem.
Die Erinnerung stieß mir einen Hirschfänger mitten ins Herz und verwirrt und wütend zugleich begann ich mit meinen ganzen
Puddingproben das angrenzende Abteilfenster zuzukleistern, wohlan, sie missachtete meine Torheit sogar, die sich in ihrer
ganzen Tragweite erst offenbarte, als ich an meinem Heimatbahnhof dem Zug entstieg (sie hatte lange vorher ihre Reise beendet)
und einer gänzlich Fremden beinahe vor die Füße fiel.
Jene blickte mich an und in die Taschen, die ich trug, und fragte:
"Sie vertreten eine Puddingfirma?
Ich entgegnete: "Ja.", und betrachtete sie scheu von oben nach unten und von unten nach oben.
Hochhackig mit tiefeinblickendem Ausschnitt, gerötete Wangen, wallendes Haar.
"Haben sie vielleicht eine Waldmeistergeschmackwackelpuddingprobe für mich?"
"Nein, leider nicht mehr."
"Aber vielleicht eine Erdbeergeschmackwackelpuddingprobe?"
"Auch nicht mehr."
"Womöglich auch keine Brombeergeschmackwackelpuddingprobe?"
"Nein."
"Aber sie sind doch Vertreter! Wo ist ihre Ware?"
"Ich habe damit die Fenster meines Abteils erquickt.", entgegnete ich.
"Fick dich, Spinner!", rief sie, schob mich zur Seite, dass ich fast auf den Bahnsteig fiel und stieg an mir vorbei auf das
Trittbrett des Waggons.
Später, daheim dann, plünderte ich meine Kellervorräte an Proben und aß Pudding in allen Regenbogenfarben, bis mir übel wurde.
Danach übergab ich mich drei Tage lang.
Seitdem vertrete ich auch meine Puddingfirma nicht mehr.
Hättest Du mir nicht geschildert, wie es Dir so fürchterlich ergangen, würde Dich in den nächsten Tagen ebenfalls Post von
mir ereilt haben, wollte ich doch einen Rat von Dir einholen, wie ich diesem tristen Leben entfliehen könne, wiewohl ich
(jetzt) weiß, dass uns mittlerweile nur ein Moratorium helfen kann eilfertige Unbedachtheiten in diese verkommene Welt zu
transportieren.
Und so sollten wir uns raten und gegenseitig empfehlen, dieser Lasterhaftigkeiten Herr zu werden und uns in Verzicht zu üben.
Wir sind nicht dafür geboren nach den Sternen zu grapschen, selbst wenn wir in der Riesenradgondel ganz oben glauben, nur noch
die Hand ausstrecken zu müssen. Wir sind dafür gemacht, den Menschen genau dabei zuzusehen, davor stehend und grübelnd, an
welcher Schraube man schrauben muss, damit die Sterne weiter zierend am Himmel prangen und nicht von Hinz und Kunz eingesammelt
werden und mit riesigen Sporttaschen durch Fußgängerzonen geschleppt werden können.
(Verborgene Empfehlung).
Nun schließe ich in der Hoffnung, dass wir bald voneinander hören.
In erfreulicheren Dingen, mitnichten.
Trotz und als dem Außendienstmitarbeiter, Herrn R. aus F., vom Eigentümer seiner Haus- und Hofautowerkstatt, Herrn B. aus
E., verkündet wurde, dass er aufgrund gewisser Porositäten im Geschwindigkeitsminimierungsbereich nur noch mit dem
Rückwärtsgang einen ungezügelten Geschwindigkeitsrausch bekämpfen konnte, erschloss sich ihm das ganze Desaster erst, als
er am nächsten Tag gen Landeshauptstadt im Zug saß und die Pröbchen und Kataloge des Wackelpuddingkonzerns, für den er
engagiert vertriebsorientiert zugange war, auf einem der zahlreichen Beifahrersitze im Massentransportabteil stapelte.
Vernünftigerweise wählte er den Sitz, der sich direkt an seine standardblaumelierte Bestuhlung anschloss.
Und so saß er denn und starrte durch das Fenster jenseits der rechten Schulter, anstatt mit Geradeausblick und durch
Navigationsgerätehalter und vom Spiegel hängenden Teddy den vier- oder (seltener) zweirädrigen Straßenverkehr mit den Händen
am Lenkrad zu verfolgen.
Die Regentropfenrinnsale an den Scheiben machten zudem jedwede Idylle kaputt und er beobachtete nur Rentner vor
Rentnerhäusern an abschüssigen Bahndämmen, die unverdrossen umgruben, oder gebückt durch Beetreihen schlichen.
Dann sondierte er mit geübtem Vertreterblick die Mitreisenden, die sich innerhalb der Bahn aufhielten und nicht draußen am
Fenster vorbei flogen.
Gegenüber saß ein wanderwilliges älteres Pärchen (dem Sockenmuster und Schuhwerk nach zu urteilen) und aß an einem Stapel
Wurststullen, deren exakte Geometrie augenscheinlich war.
Man trank auch gemeinsam aus einer kleinen Colaflasche, die mit Küchenrollenpapier, welches durch zwei Gummis mit dem
Flaschenbauch verbunden gewesen war, gesichert wurde.
Rutschfest und gleichzeitig mit der nötigen Vermeidung von Schleichwerbung.
Sicher wandervereinsvertraglich zementiert.
Eine Reihe davor saß eine Frau mit Jesus-Button (handgemalt) und las sich still aus mehreren Büchern vor. Da die reißerischen
Thrillernamen verwirrend ähnlich klangen, blieb bei mir nur "Beten wirkt Wunder" hängen.
Nebenher blinzelte noch eine Kreuzworträtselbuch mit sicher biblischen Abfragen aus ihrem Rucksack- und Taschenkonglomerat.
Im Grunde fürchtete sich der Puddingheini vor der Frau mit der jesuitischen Wanderbibliothek, denn immer wenn soviel Beistand
zur Hand ist, passiert ja was ganz Schlimmes.
Zugunglück mit allem Pipapo, zum Beispiel.
Anzeichen waren dann zu allem Überfluss auch noch da.
"Freital-Deuben-Crime" prangte in Graffitilettern draußen und dort, wo vordem Rentner ihre Parzellen umpflügten.
Erleichterung ereilte den Handelsreisenden erst, als sich der Bahnhof der Landeshauptstadt schützend über den Zug beugte, die
Buttonträgerin ihre Bücher verstaut hatte und alles ins Freie strömte.
"Jesus ist gar nicht so übel.", dachte er feststellend, weil der Arsch der Frau sich nicht im dreckigen Podexboden fixieren
lassen wollte.
Was nützt auch eine saubere Hose, wenn man schmutzige Gedanken hat?
Jedenfalls wollte der Wackelpuddingmensch nun nach Meissen weiter, wo eine potentielle Kundin wartete. Und da er noch ein
Weilchen Zeit bis zur Abfahrt vor sich herschieben musste, inspizierte er die Bahnhofshalle, die Menschen und die
Werbeaktionen der örtlichen Kaufmannsläden.
Zumindest so lange, bis drei Polizisten ihn um- und zur Rede stellten.
"Sind sie nicht der vermisste Wackelpuddingvertreter K. aus L.?"
"Nein, ich bin der redliche und präsente Wackelpuddingvertreter R. aus F.!"
"Sie haben in unsere Richtung geguckt und wirkten dann beim Weiterlaufen fluchtartig und gehetzt, zumal sich der plötzliche
Richtungswechsel entgegensetzt vollzog."
"Ich hatte einen Kaugummirest am Schuh und wollte mich befreien und es oblag mir keineswegs mich in irgendeine Richtung zu
entfernen, die nicht mit dem Bahnsteig, von dem aus mich der Zug zu meiner Zielperson transportieren soll, in Einklang zu
bringen wäre."
Nach der Überprüfung der Personalien des Vertreters durfte jener dann auch von dannen ziehen.
Im Zug nach Meissen setzte sich die christliche Reiseapotheke wieder in seine Nähe.
Da dann aber bald das malerisch klingende Radebeul- Weintraube passiert wurde, schwand jeglicher koranistischer Unglücksverdacht.
Meissen kam schließlich in Zielbandweite und nach dem Ausstieg schlug er sich auf den Bahnhofsvorplatz durch.
Und während er später so fußreisend letztendlich durch die Strassen der Stadt eilte und die Schächtelchen, Becherchen, Döschen
und Eimer in seinen Taschen klapperten und seine Arme nach unten und in die Länge zogen, wünschte er sich fast, dass er
Vertreter für Puppenstubengardinen, oder wenigstens für Puppenstubengeschirr sein möge.
Bis ihn Frau D. aus der Stadt begrüßte und sie sich gemeinsam und vertraglich vereinbart zu den Elbwiesen begaben.
Es gab Begrüßungsmuffins und Thermoskannenkaffee und eine Decke unter den Hintern. Dazu konnte er mit seinem ganzen Sortiment
brillieren und Löffelspitzen voller Wackelpudding verschwanden im Mund von Frau D..
Nebenher beobachtete man einen verrosteten Kreuzfahrtfrachter der elbaufwärts trudelte, während im Rücken ein Kleintransporter
mit zwei festgezurrten Bautoiletten stadteinwärts fegte. Unweit der intimen Verkaufsveranstaltung klapperten die Bierflaschen
von Punks, wichen Hunde Hundekothaufen aus, um neuerlichen Hundekot abzusetzen und über alldem thronte die eingerüstete Burg.
Letztendlich waren die Muffins verspeist und die Puddingproben verschlossen und Herr R. aus F. saß wieder im Zug hin nach
der Landeshauptstadt.
Dort wurde diesmal auf dem Bahnhof kein Wackelpuddingvertreter vermisst und der unbescholtene Händler konnte sich frei bewegen.
Und während er dabei so die Geleise betrachtete, die sich aus der Hauptbahnhofshalle ins Freie wandten, dachte er an seine
Zeit als Vertreter einer Firma zurück, die mit Bandnudeln aus Bodenhaltung beachtliche Messeerfolge gefeiert hatte.
Alsbald ging die Rückreise weiter und neben zwei Frauen mit Sony Ebook- Readern konzentrierte sich sein Blick auf eine weitere
Holde, die mit Laptop hantierte und einsam herumsaß.
Ihre Gesichtsgeometrie unterhalb des Mundes erinnerte ihn an eine Frau aus der Landeshauptstadt, mit der er noch vor wenigen
Wochen Tätigkeiten nachgegangen war, in deren Folge sich Frau im Optimalfalle und in naher Zukunft niederkünftig gebärden
hätte können.
Ja, der Wackelpuddingvertreter ist eine schwermütige Frohnatur und weil das Kinn so gleich aussah und auch genauso ignorant
wirkte, wusste er, dass er nun im Prinzip alles im Abteil tun könnte, ohne beachtet zu werden.
Also schraubte er die ganzen Döschen und Verpackungseinheiten auf und malte mit grünem, rotem und brombeerfarbenem
Wackelpudding seine Scheibe an.
Bis man nicht mehr rausgucken konnte.
Abends dann und zuhause wühlte er in dem Autozubehörkram und beschloss zudem im Winter nicht zu heizen, damit er den
Scheibenkratzer weiter verwenden könnte und das Cockpitspray, na damit kann man prima seinen Bürosessel einölen und die
Navihalterung befestigte er am Küchenfenster, denn sollte sein Haus mal spontan flügge werden und auf Reise gehen wollen, wäre
er der Steuermann, gleichsam dem einsamen Cowboy, der auf einer Schildkröte durch die Wüste reitet.
Neulich hatte ich mal im Rahmen einer Gameshow einen Zettel an die Stirn getackert bekommen.
Also es war kein Zettel an sich, eher ein halbes Plakat.
A3- Format, oder so.
Während die Spielpartner ringsum mit Konfettis über den Augenbrauen auskommen mussten. Es war keine Schikane, die mir zuteil
wurde, sondern eine rein praktische Geschichte. Auf dem großformatigen Blatt prangte in fetten Lettern: Riesenradbolzenschraubenbeauftragter.
Während um mich rum den zwei Partnern "Mann" und "Frau" auf der Stirn geschrieben stand.
Um das Spiel zu verlängern, hätte man, wenn die Personen schon so einfach ausgepreist wurden, doch die körperlichen
Gepflogenheiten in Form von Ausbeulungen und Haarwucherungen im unteren Gesichtsumfeld konträr zur Stirnpappe gestalten MÜSSEN.
Also saß ich irgendwann allein da, die Ex-Mitspieler waren mit Straßenbahn, Bus und ICE längst heimgereist
(Ja, es waren nur Zwei und die Zwei sind einmal einmal und einmal zweimal umgestiegen, um sich ihrer Behausung zu nähern.)
und sind dort auch, unbestätigt für mich, gesund angekommen, während ich dann also mit dem Fragebogen im Gesicht weiter herumsaß
und Worte in den Raum plumpsen ließ.
Manchmal auch ganze Fragesätze.
Anfangs also die Fragesätze, und mit aufkeimender Unruhe und Ungeduld und dem suchtähnlichen Drang endlich in die Diele zu
stürzen und mich im Garderobenspiegel zu untersuchen, die Wortfetzen, häufig auch gebrüllt, selten gestammelt und überhaupt
nicht geflüstert.
"Bin ich ein Mann?"
"Vielleicht." (Da waren die Körper der Auswärtigen noch im Raum.)
"Bin ich eine Frau?"
"Vielleicht." (Das rief einer der Körper in die Diele, bevor er die Wohnungstür hinter sich zuschlug.)
"Bin ich ein Schaufelraddampfer?"
"Bin ich eine Litfasssäule voller Graffitis und voll geklebt mit alten Konzertplakaten?"
"Bin ich ein mondsüchtiger Meteorit, der, zumal schlaftrunken, über seine Pantoffeln stolpernd, krampfhaft versucht auf der Erde einzuschlagen?"
"Bin ich Geisterradler auf der Autobahn?"
"Bin ich ein arbeitsloser Zuhälter, der seine Bewerbungslebensläufe nach unten pimpt?"
"Bin ich ein überfahrener Frosch?"
"Bin ich Fensterputzer im Lenin-Mausoleum?"
"Bin ich der wegen Kreislaufschwäche suspendierte Handballer, der als Kreisläufer durch seine behänden Drehungen Furore machte?"
"Bin ich ein ausrangierter Galoppgaul?"
"Bin ich ein, im Zugabteilpolstersitz festgesessener, Kaugummirest?"
"Bin ich Unterholz neben einer Schnellstrassenraststätte ohne Toilette?"
"Bin ich womöglich der Enkel von Adolf und Eva Hitler?"
"Taubenschlag?"
"Guillotine?"
"Urinstein?"
"Marzipanbrot?"
"Federboa?"
"Fußlappen?"
"Ameisenbärzunge?"
"Nadelkissen?"
"Walfischschwanzflosse?"
"Barockimitatankleidespiegel?"
Und bei Letzterem stürmte ich dann in den Flur, blätterte das Plakat hoch und rüber, guckte…bis ich eben so viele
Buchstabenfetzen zusammen hatte und mir klar wurde, dass es nur der Riesenradbolzenschraubenbeauftragte sein konnte.
Dann zog ich die Klammern mit einer Zange aus der Stirnhaut, riss das Plakat in geometrisch korrekte Fetzen, womit sie dann
gleichzeitig arschgesichtkompatibel wurden und nun in einem formidablen Stapel neben der Kloschüssel ihrer Beerdigung
entgegenfiebern.
Da war er wieder…der zweite oder maximal dritte Tag im Jahr, wo Herren gern Rucksäcke schultern und im Gegensatz zum Männertag
nicht nur Alkoholika, sondern auch Böller (vs. Bollerwagen) herumschleppen.
Und wo Frauen entweder übermütig kreischen, oder ängstlich zur Seite hüpfen, wenn sich bunte Funkenstürme am Himmel entfalten,
respektive Kanonenschläge zwischen den Füßen detonieren.
Während sie zum Männertag eher weniger begeistert sind, wenn der Mann sturztorkelnd, mitunter auch voll gekotzt, die heimische
Barke entert. Egal, ob sich die Auswurfmasse rein braun, oder schillernd bunt (Grundlage gelegt: Schnitzel mit Leipziger
Allerlei, Pommes, Mayo und Ketchup) darstellt.
Gorgonski, der vollkommene Dachbodenmensch, lag sich nicht mit der Security am Flower-Power in Chemnitz in den Armen und stieß
auch niemanden und mit niemanden an, sondern flüchtete irgendwann in den Hauptbahnhof, um zu sehen, wo die Verweigerer sich
tummelten, aber außer drei umherhastenden Reisenden mit Sektimitaten in der einen und Rollkoffer in der anderen Hand tat sich
nichts.
Lediglich nebenan auf dem Sonnenberg probte man den Barrikadenbau, die Schnapsrevolution…dort brannte auf einer Kreuzung ein TV-Gerät.
Oder waren es doch nur paar Wehrmachtsstiefel?
Ich konnte es nicht ausmachen.
Zu wenig Substanzmasse im Brandherd.
Schaulustfaktor: 3 minus.
Immerhin provozierte es Blaulichtbesuch.
Fazit: Ohne pimmelfechtende Raketen und Blitzknaller fällt dieser Tag im Vergleich zu Himmelfahrt massiv ab, konnte sich aber
auch weiterhin knapp vor Pfingstfamilienausflügen behaupten.
Video:
Silvester 2011 - 2012 in Chemnitz - MyVideo
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